Es fühlt sich an, als würde plötzlich der Boden unter meinen Füßen wanken. Alles, was ich jahrelang als selbstverständlich gesehen habe – die Stärke, die Unabhängigkeit, die Rolle meines Elternteils – verändert sich auf einen Schlag. Auf einmal stehe ich in einer neuen Realität, in der ich nicht mehr der Sohn bin, der sich auf die Eltern verlässt, sondern der Mensch, der Halt geben muss.

Das macht mir Angst. Da ist dieses Gefühl der Überforderung, weil ich mit organisatorischen und emotionalen Herausforderungen konfrontiert werde, die ich nie erwartet habe. Gleichzeitig spüre ich eine tiefe Traurigkeit – nicht nur darüber, dass mein Elternteil nun meine Unterstützung braucht, sondern auch über den leisen Abschied von dem Menschen, wie ich ihn immer kannte.

Plötzlich tauchen all die Fragen auf, die ich mir bis dahin nie wirklich gestellt habe: Wie geht es jetzt weiter? Welche Pflege braucht mein Elternteil? Ist ein Pflegeheim eine Lösung oder kann ich es zu Hause ermöglichen? Wo bekomme ich Hilfe? Und wie soll das alles finanziert werden?

Doch so sehr die praktischen Fragen im Raum stehen, die emotionale Last ist es, die mich wirklich trifft. Ich erinnere mich an Momente aus meiner Kindheit, an Zeiten, in denen mein Elternteil mich gehalten hat, wenn ich krank oder traurig war. Und jetzt bin ich es, der die Hand hält, der tröstet, der Sicherheit gibt. Diese neue Nähe ist intensiv und manchmal schmerzhaft.

Und dann sind da die unausgesprochenen Dinge, die plötzlich so präsent sind. Alte Konflikte, ungeklärte Fragen, vielleicht auch Enttäuschungen, die nie wirklich angesprochen wurden. Gleichzeitig spüre ich eine Wut, nicht auf meinen Elternteil, sondern auf das Leben, das so unbarmherzig sein kann. Warum geht alles so schnell? Warum schwinden Kraft und Selbstständigkeit so plötzlich?

Ich merke, dass ich diese Gefühle annehmen muss, ohne mich von ihnen überwältigen zu lassen. Es ist okay, traurig zu sein. Es ist okay, überfordert zu sein. Und es ist auch okay, nicht alles alleine schaffen zu können und es gefühlt doch zu müssen. Ich muss mir eingestehen, dass ich Unterstützung brauche – durch Pflegeberater, Freunde, vielleicht auch durch Geschwister, wenn sie da sind.

Und doch gibt es in all dem Chaos Momente, die kostbar sind. Wenn ein fremder Mensch mir plötzlich seine Unterstützung anbietet. Eine Freundin mir ihr Ohr schenkt.

Es bringt mich zum Nachdenken über mein eigenes Leben. Wie will ich alt werden? Was bedeutet für mich Würde im Alter? Wer unterstützt mich, wenn ich eines Tages Hilfe brauche?

Diese Reise ist nicht leicht. Sie ist voller Herausforderungen, voller Zweifel, voller Abschiede. Aber sie zeigt mir auch, wie viel Kraft in mir steckt. Wie viel Liebe ich geben kann. Und dass es genauso wichtig ist, mich selbst nicht aus den Augen zu verlieren – denn nur wenn ich nicht zerbreche, kann ich wirklich für meinen Elternteil da sein.

Am Ende geht es vielleicht darum, einen neuen Weg des Miteinanders zu finden. Nicht mehr nur Elternteil und Kind, wie es früher war, sondern zwei Menschen, die sich auf einer anderen, tieferen Ebene begegnen – mit Respekt, Mitgefühl und einer gereiften Form der Liebe. Und irgendwann, wenn der Moment kommt, auch mit der Fähigkeit, loszulassen.

Herzensgrüße Stefan

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